Christa Schütt
  Das bin ich
 

Der etwas andere Lebenslauf

 

Als ich 1948 meinen 'Auftritt' in der Familie hatte, galt ich als so eine Art verspätetes Weihnachtsgeschenk. Es war nämlich der sechsundzwanzigste Dezember. Meine Geschwister waren sich nie ganz einig, ob sie sich über den Zuwachs nun gefreut haben, oder ob sie der Nachzüglerin eher skeptisch gegenüber standen. Immerhin war die Wohnung mit vier Jungen und zwei Mädchen bereits ziemlich voll.

 

Mein Dasein als 'Küken' hatte wie alles im Leben Vor- und Nachteile. Im Großen und Ganzen aber hatte ich mir eine Familie ausgesucht, in der es sich leben ließ. Es wurde zwar auch gestritten und gekämpft, aber noch viel mehr wurde gelacht und gespielt, drinnen wie draußen. Und es wurde gelesen, immer und überall. Unsere Mutter las sogar neben dem Herd, in der einen Hand das Buch, in der anderen den Kochlöffel.

 

So geprägt wurde ich eine große Leseratte. Meinen ersten Büchereiausweis bekam ich schon mit füf Jahren, und wehe die Großen hatten mir keine Bilderbücher mitgebracht! Vom Bücher anschauen zum Bücher lesen war es dann nur ein kleiner Schritt, der mir schon vor der Einschulung gelang.

 

An der Wand unseres Klassenzimmers hingen Bilder, unter denen das jeweilige Wort stand. Es begann mit Ei, Hase, Willi, Dora, und ich weiß noch, dass ich meinen staunenden Mitschüern das meiste davon nahezu fehlerfrei vorlesen konnte. Nur das Wort Ziege klang etwas seltsam, weil ich 'i' und 'e' trennte und Zi-ege daraus machte.

 

Die vier Klassen der Volksschule waren für mich kein Problem, weil ich durch meine großen Geschwister schon eine solide Grundlage hatte. In der Mittelschule blieb das noch eine Weile so, dann rutschten meine Zensuren in einigen Fächern in den Keller. Zum Teil lag das mit an den Lehrern, zu einem größeren Teil aber an der Tatsache, dass ich zuviel anderes im Kopf und für die Hausaufgaben keine Zeit hatte. Die wurden oft genug in letzter Minute abgeschrieben.

 

Ab der achten Klasse wurde es dann besser. Wir bekamen junge Lehrer, bei denen der Unterricht plötzlich wieder Spaß machte. Besonders in Mathe und Deutsch konnten sich die Zensuren sehen lassen. Diktate waren zwar nicht so ganz mein Fall, aber in den Aufsätzen war ich dafür umso besser. Vor allem dann, wenn wir unser Thema frei wählen konnten. Dass aus diesen kleinen Geschichten einmal Bücher werden sollten, ahnte ich natürlich nicht.

 

Nach der Mittleren Reife kam für ein Jahr die Frauenfachschule, auch 'Pudding-Akademie' genannt. Von Babypflege über Kochen und Nähen bis zur Führung eines Haushaltskontos stand alles auf dem Lehrplan, was irgendwie mit 'Familie' zu tun hatte. Schon meine Schwestern hatten diese Klasse besucht, weil unser Vater darauf bestand. Seine Idee war gar nicht so schlecht, dieses zusätzliche Jahr war das faulste meiner gesamten Schulzeit. Den Abschluss brauchte ich nicht; denn meine Interessen gingen in eine ganz andere Richtung. Ich wollte etwas machen, was mit Büchern zu tun hatte.

 

So wurde ich Buchhändlerin. Die Lehre verlief - zumindest am Anfang - etwas anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Im ersten Jahr durfte ich hauptsächlich Staub wischen, Bücher zur Post bringen, Ablage machen und Botengänge erledigen. Das war damals so üblich. Später wurde ich auf die Kunden losgelassen, und nachdem die ersten Hemmungen überwunden waren, wusste ich, warum ich mir genau diesen Beruf ausgesucht hatte. Es war mein Traumjob! Zwölf Jahre lang ging ich ausgesprochen gern zur Arbeit. Dann wechselte ich in die Selbstständigkeit, zog mit meinen beiden Pferden, Winnie und Lindy, ins Nachbarland Niedersachsen, lebte mich in meiner neuen Heimat problemlos ein und war fortan das, was man eine freie Autorin nennt. In meinem Fall Kinder- und Jugendbuchautorin.

 

Die Pferde waren übrigens der Hauptgrund für den Umzug aufs Land. Ich hatte 1965 endlich die lang erträumten Reitstunden durchgesetzt, mich wenige Jahre später in eine 'verrückte' Stute verliebt (besagte Winnie) und war 1970 stolze Besitzerin eben dieses Pferdes geworden. Vier Jahre später war dann ihre Tochter Lindy dazugekommen und beide zusammen kosteten mich regelmäßig ein Drittel meines ohnehin bescheidenen Gehaltes. Als Gegenleistung lieferten sie mir ständig Stoff für neue Geschichten, was meinem Bankkonto ganz gut tat.

 

Nach dem Umzug wuchs sich meine Mini-Herde im Laufe der Jahre zu einer recht stattlichen Gruppe aus, die mal mehr, mal weniger Mitglieder hat. Der Rekord lag bei elf Pferden, die ich zu betreuen hatte. Zum Glück gehörten die meisten davon Freunden, die für Pension und Pflege zahlten. Alle zusammen taten ihr Möglichstes, dass ich immer neue Bücher schreiben konnte. Ihr 'Einsatz' war mitunter bemerkenswert, wenn auch nicht immer erwünscht. - Nachzulesen in "Ach, Sie haben Pferde..."

 

Augenblicklich ist es eher ruhig auf meiner Weide. Sechs Pferde, im Alter zwischen 13 und 32 Jahren, bevölkern zur Zeit Weiden, Auslauf und Offenställe und ich genieße die Ruhe (und die heilen Zäune!). Schon deshalb, weil ich nicht weiß, wie lange dieser Zustand anhält. Jedes neue Pferd, das dazu kommt, bringt auch neues Leben in die Herde. Dann mache ich bestimmt, trotz aller Erfahrung, wieder ganz neue Entdeckungen; denn kein Pferd ist wie das andere. Und deshalb werden sie und wird mir der Umgang mit ihnen auch nie langweilig.

 
   
 
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